Das Bundesgericht hat in einem neuen Urteil seine bisherige Praxis zum sogenannten «wirtschaftlichen Neubau» widerrufen. Damit können auch bei grösseren Renovationen werterhaltende Massnahmen und energiesparende Investitionen vom Einkommen abgezogen werden.

Grundsatz

Grundsätzlich können werterhaltende Aufwendungen als Liegenschaftsunterhalt vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden. Dazu gehören Unterhaltskosten, Instandstellungskosten für neu erworbene Liegenschaften, Versicherungsprämien und Kosten für die Verwaltung durch Dritte. Wertvermehrende Aufwendungen (z.B. Anbau eines Wintergartens, Aufstockung einer Liegenschaft oder Ausbau eines Dachgeschosses zu einer Wohnung) können hingegen erst bei einer späteren Veräusserung bei der Grundstückgewinnsteuer in Abzug gebracht werden. Als Ausnahmen von diesem Grundsatz können auch Kosten für denkmalpflegerische Arbeiten sowie Investitionen, die dem Energiesparen und dem Umweltschutz dienen, vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden. Die Anwendung dieser Grundsätze ist in der Praxis oft sehr komplex und aufwändig.

Alte Dumont-Praxis und Aufhebung

Die 1973 eingeführte Dumont-Praxis hatte zur Folge, dass Kosten, die unmittelbar nach dem Erwerb einer Liegenschaft anfielen, als Anlagekosten zu qualifizieren waren, auch wenn sie rein werterhaltenden Charakter hatten. Es wurde argumentiert, dass diese Unterhaltskosten Teil des Grundstückerwerbs seien und somit Anlagekostencharakter hätten. Diese Praxis wurde erst im Rahmen einer Gesetzesänderung im Jahr 2010 abgeschafft. Nach dem neuen Gesetzestext können seither auch «Unterhaltskosten für neu erworbene Liegenschaften» vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden.

Praxis zum wirtschaftlichen Neubau

Als Reaktion auf diese Gesetzesänderung haben zahlreiche Steuerverwaltungen eine neue Praxis entwickelt. Soweit Grundeigentümer ihre Liegenschaft mit hohem Aufwand umfassend renoviert haben und diese Kosten einen gewissen Betrag überstiegen und/oder alle wesentlichen Teile der Liegenschaft betrafen, wurden diese Kosten gleich in globo als Anlagekosten qualifiziert (sog. «wirtschaftlicher Neubau»). Es wurde nicht mehr unterschieden, welche Kosten für sich betrachtet werterhaltenden oder wertvermehrenden Charakter hatten. Selbst für Energiesparmassnahmen wurde der Abzug gänzlich verweigert. Das Bundesgericht hat diese Praxis mehrfach geschützt, zuletzt noch im Sommer 2022 (2C_734/2021). Bemerkenswert ist, dass diese Praxis auch ohne Zweck- oder Nutzungsänderung der Liegenschaft angewendet wurde. Massgebend war im Wesentlichen die Höhe der Renovationskosten.

Nun hat das Bundesgericht – etwas überraschend – in einem neuen Entscheid vom 23. Februar 2023 (9C_677/2021) seine Praxis aufgegeben und die Rechtslage neu beurteilt.
Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass mit der Abschaffung der Dumont-Praxis per 1. Januar 2010 in jedem Fall eine Betrachtung nach objektiv-technischen Kriterien zu erfolgen habe. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise sei aufgrund des klaren Gesetzeswortlauts und der Entstehungsgeschichte dieser Gesetzesänderung nicht mehr angezeigt. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist bei allen Arbeiten aufgrund ihres objektiv-technischen Charakters im Einzelfall zu prüfen, ob sie der Wiederherstellung eines früheren Zustandes der Liegenschaft dienen.

Wir empfehlen, bei grösseren Renovationsarbeiten eine lückenlose Dokumentation zu erstellen, aus der die steuerliche Abzugsfähigkeit der werterhaltenden Massnahmen sowie der Investitionen im Energiebereich abgeleitet werden kann (Rechnungen, Fotos, Baupläne, Bauabrechnungen mit Aufteilung in werterhaltende und wertvermehrende Kosten etc.)